Junge
Liebe
Kapitel 2
Eine Geschichte
über die Jugend, die Liebe und erste Male.
© 2012-2014 Coyote/Kojote/Mike Stone
Teil 01
Teil 02
Teil 03
Teil 04
Teil 05
Teil 06
Teil 07
Teil 08
Ein weiteres Mal meinen Dank wieder an Theodor und die anderen Erstleser.
Und meinen Dank an alle, die dieser Geschichte über zwei Jahre, zwei Kapitel und gestandene 38 Subkapitel die Treue gehalten haben.
Mehr dazu noch im Epilog vom Epilog am Ende... ;-)
Und meinen Dank an alle, die dieser Geschichte über zwei Jahre, zwei Kapitel und gestandene 38 Subkapitel die Treue gehalten haben.
Mehr dazu noch im Epilog vom Epilog am Ende... ;-)
XXXVII. - Epilog
Still stand Peter vor dem Grabstein und ließ den Kopf
hängen. Die Trauergesellschaft im Hintergrund löste sich auf und ging ihrer
Wege. Aber die Leute interessierten ihn gerade nicht.
Er sagte nichts. Es war schließlich nur ein Haufen Erde
mit einem toten Körper darunter und einem Gedenkstein darauf. Kein… Tempel der Seele oder so etwas.
Er stand einfach nur da, starrte die Grabinschrift an und
dachte an gar nichts. Hätte man ihn aufgefordert, etwas zu sagen, hätte er
nicht einmal gewusst, was das wohl hätte sein sollen.
Als dann der bewölkte Himmel aufbrach und der kleine
Friedhof, der zu seinem Heimatdorf ebenso gehörte, wie zum Nachbarort, in
strahlenden Sonnenschein getaucht wurde, blickte er schließlich auf.
Das Timing war einfach zu perfekt, als dass nicht…
Fast musste er lächeln, als er die Schritte auf dem
Kiesweg hörte.
„Bist du… fertig?“, fragte Nadia sanft.
Peter nickte. Und dann drehte er sich um und sah seine
Freundin an, die mit diesem kleinen Funken Sorge in den Augen seinen Blick
erwiderte, den sie seit jener Nacht vor genau einem Monat immer zeigte, wenn er
zu nachdenklich wurde.
So wie er es heute eindeutig gewesen war.
Langsam setzte er sich in Bewegung. Das Bein schmerzte
noch immer, wenn er es belastete. Und das würde es auch noch eine ganze
Zeitlang tun, sagten die Ärzte. Schließlich hatte er eine Kugel hinein
bekommen.
Mit jedem leichten Zucken in seiner Miene wurde seine
Freundin unruhiger und schließlich wartete sie nicht mehr länger, sondern glitt
an seine Seite. Und er ließ sie unter seinen Arm schlüpfen und ihn ein wenig
stützen.
Auch wenn das eigentlich wirklich albern war.
Und noch alberner wurde es, als wenige Schritte weiter
Patty von der Bank aufstand, auf der sie gewartet hatte, und an seine andere
Seite trat.
„Ich kann mittlerweile wieder alleine laufen“, beschwerte
er sich.
„Musst du aber nicht“, gab seine… zweite Freundin zurück.
„Du hast nämlich uns.“
„Die Ärzte sagen, ich soll das Bein vorsichtig belasten“,
widersprach er.
„Und das hast du heute lang und schmutzig getan“, wurde
er belehrt.
Und zwar zweistimmig.
Widerspruch war demnach zwecklos.
Seufzend ergab er sich in sein Schicksal und sie
verließen gemeinsam den Friedhof in Richtung Parkplatz. Dort stand Oma Renate
zusammen mit dem Pastor, der die Grabrede gehalten hatte.
Als sie näherkamen blickte der Gottesmann auf und seufzte
leise. Was ihm missfiel war Peter durchaus bewusst. Aber das war ehrlich gesagt
das Problem des Kirchenmannes.
„Danke für die schöne Rede“, sagte seine Oma zum Abschied
zu ihm. „Sie hätte sich gefreut, sie zu hören.“
„Sie hat es gehört, Renate“, lautete die Antwort. „Sie
ist jetzt bei unserem Vater im Himmel und hört und sieht alles.“
„Da bin ich sicher“, erwiderte die Rentnerin und schoss
einen warnenden Blick in Richtung des Trios ab.
„Ich wünschte, er würde nicht nur zusehen, sondern auch
mal was unternehmen, wenn die Kacke so richtig am Dampfen ist“, murmelte Nadia
dennoch.
„Ich versichere dir, meine Tochter“, gab der Pater sofort
zurück als hätte er nur darauf gelauert, dass sie das Wort ergriff, „Er sieht
alles und am Ende aller Tage wird jeder für seine Taten gerichtet werden.“
So ziemlich nichts auf der Welt hätte Peter dazu bringen
können, sich in diese Diskussion einzumischen. Auch wenn er niemals von Nadia
verlangen würde, ihre Meinung zurückzuhalten. Egal, was seine Oma davon hielt.
Aber die Art, wie der Pastor dabei nacheinander seine
beiden Freundinnen abschätzig musterte und dann kurz einen strafenden Blick auf
ihn warf, war inakzeptabel.
Es lag auf der Hand, dass es dem Priester nicht gefiel,
auf seinem Friedhof zwei Frauen anzutreffen, die in seinen Augen wohl ‚frivol‘
gekleidet waren. Wobei Peter fand, dass sie sich, dem heutigen Anlass gemäß,
sogar noch sehr zurückhielten.
Beide trugen schwarze Kleider, die bis zur Mitte der Oberschenkel
reichten und vorne hochgeschlossen waren. Nur die Rückenausschnitte waren mit
verwegen noch ein wenig unzureichend beschrieben, weil sie wirklich bis
hinunter zum Po reichten. Und die freie Haut sowie die enganliegenden Schnitte
verrieten auch, dass es an Unterwäsche absolut sicher mangelte.
Aber das ging den Pfaffen verdammt noch mal nichts an.
Und was er von den Gerüchten hielt, die über die drei kursierten, war Peter
ebenfalls scheißegal.
„Wo war Gott eigentlich, als mich mein Bruder vergewaltigt
hat?“, fragte allerdings Patty, bevor er sich seine Worte zurecht gelegt hatte.
„Bei einigen Dutzend Malen hätte er reichlich Zeit gehabt, mal was zu
unternehmen, finde ich. Oder schaut er lieber zu?“
Der Pastor sah aus, als hätte man ihm einen Tintenfisch
ins Gesicht geklatscht. Nach Luft schnappend suchte er nach einer passenden
Erwiderung, aber er bekam keine Gelegenheit dazu.
„Sie entschuldigen uns?“, fragte Nadia. „Wir müssen auf
eine Orgie zu Ehren des Teufels.“
Peter war nicht exakt nach Grinsen zumute, als sie alle
in seinen Wagen stiegen. Und seine Oma sah aus, als wäre ihre Miene aus Granit.
Aber sie sagte nichts, bis Nadia das Auto vom Parkplatz gesteuert hatte.
„Wenn ihr noch einmal so mit dem Pastor redet, werde ich
euch alle der Reihe nach übers Knie legen“, verkündete sie dann. „Ganz egal,
wie sehr er es verdient haben mag.“
„Ja, Oma“, bestätigten sie alle drei nacheinander artig.
„Verlogene Lausebande!“, beschwerte sich die Rentnerin
daraufhin entrüstet. „Euch werd ich heimleuchten!“
Peter entspannte sich auf dem Beifahrersitz. Wie wütend
sie wirklich war, hatte er nicht genau abschätzen können. Aber nun war klar,
dass sie es ihnen nicht übel nahm.
Seit jener Nacht hatte sie sich verändert. Sie alle
hatten sich verändert. Und manchmal machte es das schwer, die Reaktionen
abzuschätzen, weil auch die sich natürlich verändert hatten.
Sie waren alle gerade dabei, mit den Veränderungen zurecht
zu kommen.
*****
Walther war nicht wirklich überrascht, als er den Wagen
des jungen Bübler erblickte, wie er sich der Auffahrt näherte. Er war selbst
gerade ausgestiegen, nachdem er mit seiner Frau auf der Trauerfeier gewesen
war. Soviel zumindest - da hatte Renate wohl recht - waren sie ihr schuldig
gewesen.
Also hatte er sich von Elfriede den Sonntagsstaat
herauslegen lassen und sich notgedrungen in Schale geworfen. Anders hätte seine
Frau ihn nicht mitgenommen und zu Hause gelassen hätte sie ihn natürlich auch
nicht.
Bei der Entscheidung zwischen unbequemem Anzug und
lautstarkem Streit, der zu unbequemen Anzug führte, hatte er weise auf die
Streiterei verzichtet.
Als er die Haustür geöffnet hatte, damit der Fritz schon
einmal an die frische Luft konnte, fiel sein Blick auf die Fahrerin des Autos
und er zögerte nicht, sich einzugestehen, dass er den Peter ein ganz klein
wenig beneidete.
Zwar trug der Junge ordentliche Kleidung, aber seine
Liebste - oder die eine seiner beiden Liebchen, wie es im Grunde unverkennbar
wirklich war - hätte ihn nicht in den furchtbaren Aufzug gezwungen, den er so
hasste. Sie zwang ja nicht einmal sich selbst in etwas, was ihr nicht gefiel.
Und insgeheim hatte er da auch nicht wirklich etwas
dagegen.
„Diese Kinder“, murmelte seine Frau kopfschüttelnd, als
die drei zusammen mit Renate aus dem Wagen stiegen.
In ihrer Stimme lag eine gewisse Missbilligung, wie es
auch zu erwarten war. Nicht, dass Walther selbst so sehr etwas an den engen,
kurzen Kleidchen auszusetzen hatte, aber für eine Beerdigung - selbst wenn sie
strenggenommen nicht direkt daran teilgenommen hatten - war es doch ein
unpassender Aufzug.
„Als ich in dem Alter war…“, schnaubte sie.
„Hättest du keinen Deut schlechter in so einem Kleid
ausgesehen“, hakte er unwillkürlich ein.
Elfriede fuhr herum und musterte ihn. Aber es lag weniger
Schärfe in ihrem Blick, als er eigentlich ob seiner unbedachten Worte
befürchtet hätte.
„Kaum schlechter?“, fauchte sie, nicht ohne einen
eindeutig spielerischen Unterton. „Warst du es nicht, der mir ein Liedchen auf meine beiden Hügel
dichtete, die… Wie war das noch?“
„Alle anderen Berge dieser Welt in den Schatten stellen“,
half er ihr aus. „Sapperlot! Das weißt du noch? Ich dachte.. diese Peinlichkeit
hättest du längst vergessen.“
Nicht zum ersten Mal in den letzten Wochen, stockte
Walther der Atmen, als seine Frau ihn mit einem Ausdruck anblickte, den er in
den Jahrzehnten davor schon fast vergessen hatte. Kokett blinzelnd und mit
einem Hauch Rot auf den Wangen, schmunzelte sie.
„Vergessen, wie du vor mir knietest und es sogar
geschafft hast, nicht nur dauernd auf die Hügel zu starren, denen du dein
Ständchen brachtest, Walther Müller?“, hauchte sie leise. „Bei dem, was du
danach mit mir und meiner armen, ahnungslosen Unschuld angestellt hast? Also
wirklich…“
„Mach nur so weiter“, brummte er ganz und gar nicht
brummig, „dann zeig ich deiner Unschuld gleich noch einmal, was eine Harke
ist.“
Kurz verfluchte er das Vierergespann, das sie nun
erreichte. Wären sie allein gewesen, hätten sie wohl nun gleich noch einmal
gefeiert, dass sie so eine Art zweiten Frühling erlebten. Stattdessen musste er
sich aber zusammenreißen und sich dem Ursprung dieses frischen Winds zuwenden,
wenn man so wollte.
Denn wem sonst, wenn nicht diesen unmöglichen Kindern,
war das wohl zu verdanken…?
Wieder einmal versetzte es ihn in Erstaunen, dass allen
voran die kesse Blondine sich nicht mit einem Handschlag abspeisen ließ. Einmal
hatte sie gezögert und sich bei Elfriede die Erlaubnis eingeholt, aber nun fiel
sie ihm um den Hals und drückte ihn, wie sie es seit jener Nacht im Wald immer
tat.
Und die kleine Patrizia, an die er nicht mehr guten
Gewissens als das ‚Pfaffer-Mädchen‘ denken konnte, weswegen nicht nur er sie
mittlerweile als die ‚Bübler-Patty‘ betrachtete, die sie nur dem Namen nach
nicht war, tat es dem Wirbelwind sogleich nach.
Nur der Peter beschränkte sich, wie es eben seine weniger
stürmische Art war, auf einen festen Händedruck. Renate hingegen drückte ihn
rasch, wie sie es aber ja nun schon immer getan hatte.
Nachdem dann alle Umarmungen verteilt waren und auch
Elfriede von jedem geherzt worden war, lud er sie alle ins Haus ein, wo er die
Kinder mit an den Esszimmertisch nahm, damit die Frauen einen Kaffee aufsetzen
konnten.
„Um der Wahrheit die Ehre zu geben, weiß ich nicht recht,
was ich dir sagen soll“, meinte er in Richtung von Patrizia.
„Schon okay“, antwortete die gelassen. „Sie ist tot und
ich bin nicht unglücklich deswegen.“
„Ich bin sicher, sie wollte nie…“, setzte er an.
„Sie wollte vielleicht nicht, aber sie hat, Onkel
Walther“, unterbrach die Kleine ihn. „Und sie hat auch ohne den Dachschaden,
den Pierre ihr verpasst hat, schon lieber geschrien oder geschlagen und ihren
Frust an mir ausgelassen.“
Dagegen ließ sich nichts sagen, wie er eingestehen
musste. Elvira Pfaffers Tochter war schon immer ein Sorgenkind gewesen. Hatte ihrer
Mutter viel Kummer bereitet und keinen rechten Weg gefunden. Und niemand im
Dorf hatte sich so recht aufraffen können, sie zurück auf die richtige Bahn zu
führen.
„Ehrlich gesagt bin ich irgendwie erleichtert“, sagte
Patrizia noch. „Statt Tanja liegt nun meine Mutter unter der Erde, ich bin
frei… und glücklich. Alles hat sich zum Guten gewendet.“
„Dann ist die Tanja nun außer Lebensgefahr?“, erkundigte
er sich erfreut.
„Die Ärzte sagen, sie könne jeden Tag wieder zu
Bewusstsein kommen, aber noch kann niemand etwas Genaues sagen“, erklärte
Peter.
„Na, wenn das mal nicht…! Hörst du, Elfriede? Die
Tanja…“, rief er.
„Jaja, Walther“, kam die Antwort aus der Küche. „Ich weiß
doch schon. Oder was glaubst du, worüber wir hier reden, du Torfkopf?“
„Werd mal nicht frech, Mädel“, gab er vergnügt zur
Antwort. „Sonst singe ich dir nachher nicht das Lied von den Hügeln.“
Die Kinder verstanden diese Andeutung natürlich nicht.
Sie lächelten, weil er mit seiner Frau ausgelassen scherzte. Aber Elfriede
schob den Kopf ins Zimmer und starrte ihn mit großen Augen an. Und er nickte,
um ihr zu bestätigen, dass er genau das gemeint hatte.
Die roten Bäckchen, mit denen sie in die Küche
zurückkehrte, sollte sie man schön selbst der guten Renate erklären…
„Hast du nun noch Ärger von der Polizei zu befürchten?“,
erkundigte sich Peter, den dieser Schuh wohl weiterhin drückte.
„Nah…“, machte Walther und winkte ab. „Erst wollten sie
sich ja gar nicht mehr einkriegen, aber wie sich dann herausgestellt hat, dass
die Bande selbst reichlich Schießeisen dabei hatte. Und sogar Verbindungen zu
irgendwelchen Menschenhändlern und dergleichen…
Notwehr wird’s wohl werden und nochmal sollte ich sowas
nicht machen. Aber das wars dann auch…“
Das klang so lapidar, obwohl es seinem alten Freund Erich
doch ein paar graue Haare bereitet hatte. Eine Luger und eine Maschinenpistole
aus dem Krieg waren eben doch was anderes als ein Jagdgewehr. Wären die beiden
Polizisten im Streifenwagen, der zuerst am Ort des Geschehens war, nicht solche
Jungspunde gewesen, wäre das wahrscheinlich nicht gar so schlimm gewesen. Aber
so hatten sich die Hosenscheißer kaum eingekriegt, als sie sich einen Überblick
verschafften.
Zum Glück jedoch war man hier nicht in der Großstadt. Der
Staatsanwalt war ein vernünftiger Mann, die nun ermittelnden Beamten kannte
Walther fast alle von der Bundeswehr und der zuständige Richter wohnte selbst
im Nachbardorf und war ein alter Freund.
Da war kein Grund zur Sorge. Außer natürlich für die
Mistkerle, die jetzt in Untersuchungshaft saßen.
„Ich fasse immer noch nicht, dass es nicht einmal in den
Zeitungen stand“, meinte die kesse Nadia. „Normalerweise hätte das die erste
Seite der Bild komplett einnehmen müssen. Die stürzen sich doch auf sowas, wie
Haie, die Blut gerochen haben.“
„Aber nur, wenn sie Wind davon bekommen, dass es sich
lohnt“, erklärte Walther. „Und wenn die Lokalzeitungen es nur auf Seite zwölf
in einem winzigen Artikel erwähnen, ist es wohl nicht aufsehenerregend genug.“
Der Ausdruck auf dem Gesicht des Mädchens war nicht
gänzlich erleichtert. Wie es schien, machte sie sich ihre ganz eigenen Gedanken
darüber, was ein so effektives Netzwerk alter Freunde noch alles anstellen
konnte. Und wenn er die Seitenblicke richtig deutete, die sie auf ihre beiden
Begleiter warf, drehte sich ihre Sorge in diesem Fall wohl eher um moralische
Aspekte.
„Mach dir man keine Gedanken“, sagte er daher ganz offen.
„Wir mischen uns schon nicht in Privatangelegenheiten. Deswegen konnte es ja
überhaupt erst soweit kommen.“
So ganz beruhigt sah sie daraufhin allerdings noch nicht
aus. Also fügte er hinzu: „Und wenn man mal über die schamlose Unverschämtheit
hinwegsieht, ist es ja doch ganz niedlich, was ihr Kinder so anstellt.“
Mehr Ermutigung würde es nicht geben. Zu sehr die Zügel
schießen lassen durfte man dem Jungvolk nicht. Missbilligende Blicke und
anständige Entrüstung waren immerhin das einzige, was die paar brauchbaren
Jugendlichen von heute noch davon abhielt, völlig außer Rand und Band zu
geraten.
„Wie geht es deinem Bein?“, wechselte er das Thema und
wandte sich an Peter.
„Es juckt und zieht gelegentlich“, antwortete der Junge.
„Ich werds überleben.“
„Sicher wirst du das. Hast Glück gehabt.“
„Wohl eher ein ganzes Rudel Schutzengel“, widersprach er.
„Und deswegen will ich dir auch noch einmal danken. Ohne dich und Oma…“
„Nun, nun…“, meinte Walther ergriffen. „Schon gut, mein
Junge.“
*****
Kenny stand unter Strom wie selten zuvor. In gewisser
Weise war er sogar aufgeregter, als in dieser Nacht vor vier Wochen. Und das
lag ganz einfach daran, dass er festgehalten wurde.
Seitdem es ihm erlaubt wurde, hatte er an Tanjas Bett
gesessen. Zuerst auf der Intensivstation und nun in ihrem Krankenzimmer, wo sie
seit einigen Tagen langsam aus dem künstlichen Tiefschlaf erwachte.
Eigentlich war es nicht erlaubt, dass er wirklich fast
die gesamte Zeit im Krankenhaus verbrachte. Weswegen Kenny den Schwestern auch
sehr dankbar war, die ihn deckten. Warum auch immer sie das taten und ihn dabei
immer so mitfühlend ansahen…
Die ganze Zeit über hatte er versucht, Tanja das Gefühl
zu geben, dass sie nicht allein war. Er hatte ihr alles, was geschehen war,
wohl hundert Mal erzählt. Und dazu auch noch jedes Erlebnis aufgewärmt, dass er
mit ihr teilte. Und alle möglichen Dummheiten, die er im Laufe der Zeit verzapft
hatte.
Er redete einfach, ohne wirklich darüber nachzudenken.
Und seine dauerhafte Müdigkeit, weil er sich kaum ein paar Stunden Schlaf am
Stück gestattete, machte daraus wohl ziemlich sinnloses Geplapper. Aber die
Schwestern meinten alle, dass Tanja ruhiger war, wenn er ihre Hand hielt und
auf sie einredete. Und das war wohl eine gute Sache.
Vor einigen Stunden nun hatte sie seine Hand gepackt und
den Druck erwidert. Nicht fest, aber er hatte es gespürt.
In seiner grenzenlosen Aufregung hatte er sofort das
halbe Krankenhaus alarmiert, nur um gesagt zu bekommen, dass es völlig normal
sei. Sie wachte eben langsam auf und ihr Körper fing nun wieder an, sich mehr
zu bewegen. Es musste noch nicht einmal wirklich etwas bedeuten.
Aber Kenny wusste es besser. Er merkte deutlich, wie der
Druck stärker wurde, wenn er seine Hand auch nur einen Millimeter bewegte. Als
wolle sie keinesfalls zulassen, dass er fortging.
Und selbst wenn… selbst wenn sie ihn für Peter hielt -
was er stark annahm - war das wichtig. Es zeigte, dass sie ins Leben
zurückkehrte.
Er dachte nicht daran, sie in diesem Zustand
alleinzulassen. Irgendwer sollte Peter und Oma Renate und natürlich Tanjas
Vater anrufen, aber dieser ‚Jemand‘ würde nicht Kenny sein.
Er blieb eisern an ihrer Seite und redete weiterhin
einfach drauflos. Und er hielt ihre Hand, damit sie wusste, dass sie erwartet
wurde, wenn sie die Augen aufschlug. Selbst wenn es nicht derjenige war, den
sie sicherlich an ihrer Seite vorfinden wollte.
Kenny war kein Idiot. Er wusste schon lange, dass Tanja
ihren Cousin wahrscheinlich liebte. Und zwar auf eine nicht wirklich
verwandtschaftliche Weise. Und seit kurzem war ja auch klar, woher ihre
komischen Anwandlungen kamen. Das einst so rätselhafte Puzzle war ziemlich
weitgehend gelöst.
Aber das änderte nichts daran, dass Peter sie nicht so
liebte, wie sie sich das wünschte. Und dass dafür Kenny schon so lange in sie
verknallt war, auch wenn sie das nicht interessierte.
Und dass wiederum war kein Grund, nicht an ihrer Seite zu
sitzen und sich um sie zu kümmern. Ob nun aus Freundschaft oder Liebe, spielte
da ja nun wirklich keine Rolle.
Er war wirklich eisern. Und fest entschlossen. Aber im
Leben eines jeden Menschen kam der Punkt, an dem es nicht mehr weiterging. Der
Punkt, an dem man entweder zur Toilette ging oder sich in die Hose machte.
Und bevor das geschah, musste er dann doch notgedrungen
seine Hand aus dem längst fühlbar starken Griff lösen und sich erheben. Müde
schlurfte er aus dem Zimmer und zur nächsten Toilette. Den Weg fand er praktisch
im Schlaf.
Und der Schlaf fand ihn dann, als er auf der
Toilettenschüssel saß. Jedenfalls war er eindeutig nicht nur ein paar Sekunden
weggenickt, als er wieder aufwachte, sondern lehnte mir schmerzendem Nacken an
der Trennwand zu seiner Linken und hatte Schmerzen in so ziemlich jeder
Körperregion.
Rasch machte er sich sauber und zog sich wieder an. Auf
dem Weg zum Waschbecken, wo er sich auch Gesicht und Nacken wusch, murmelte er
leise fluchend vor sich hin. Und dann beeilte er sich, zu Tanja zurückzukehren,
die er weiß Gott wie lange allein gelassen hatte.
„Ach“, meinte eine der Stationsschwestern auf dem Gang,
als sie in sah. „Du bist ja doch hier. Ich dachte mir doch, dass du nicht nach
Hause gegangen bist.“
„Wieso?“, fragte er sofort alarmiert. „Was ist passiert?“
„Ganz ruhig“, meinte sie sanft. „Deine Freundin ist nur
unruhig geworden. Kein Grund zur Sorge.“
Erleichtert atmete er auf.
„Aber sie fragt jetzt dauernd nach dir“, fügte die Frau
ganz beiläufig hinzu.
„W-was?“, keuchte Kenny fassungslos. „Sie spricht?“
„Na, so langsam ist sie wieder wach. Und scheinbar
vermisst sie dich ziemlich.“
„Sie… sie fragt nach… Peter?“
„Peter?“, wollte die Schwester verblüfft wissen. „Heißt
du nicht Kenny?“
Er ließ sie stehen. Er konnte es zwar nicht glauben, aber
wenn auch nur ein Fünkchen Hoffnung bestand, dass es wahr sein mochte, musste
er es mit eigenen Ohren hören.
Wie von Teufeln gehetzt rannte Kenny zurück zu Tanjas
Zimmer, wo eine andere Schwester gerade beruhigend auf sie einredete, während
Tanja sich unruhig in ihrem Bett hin und her bewegte.
„Schau“, meinte die ältere Frau sanft. „Da kommt dein
Freund ja schon…“
„Kenny?“, nuschelte Tanja undeutlich.
Nun… Okay, es war nicht ganz sicher, ob sie Kenny sagte.
Es klang so ähnlich, aber es war ohne den geringsten Zweifel nicht Peters Name,
den sie da von sich gab.
Die Krankenschwester lächelte nachsichtig, als Kenny fast
über seine eigenen Füße stolperte, um so schnell wie möglich wieder seinen
Stuhl zu erreichen. Tanjas leicht erhobene und in der Luft herumtastende Hand
hatte er schon ergriffen, bevor er überhaupt saß.
„Ich… Ich bin hier, Tanja“, japste er atemlos. „Ich bins,
Kenny…“
„Kenny…“, seufzte sie - diesmal war es eindeutig - und
entspannte sich sichtlich.
„Ich bin hier, ich bin hier“, murmelte er immer wieder
und küsste ihre Hand, die seine nun spürbar fest ergriffen hatte.
*****
„Ich werde ihn vermissen“, seufzte Angelika, die in der
Zimmertür stand, leise.
Ruth blickte sie an und schmunzelte über den leicht
verträumten Ausdruck im Gesicht ihrer jüngeren Kollegin.
„Noch bleibt er uns für eine Weile erhalten“, ermahnte
sie vielleicht ein ganz klein wenig barsch.
„Tu nicht so, als hättest du ihn nicht ins Herz
geschlossen“, sagte ihre Kollegin ihr direkt auf den Kopf zu. „Wir haben alle
längst kapiert, dass er sogar unseren Hausdrachen erweichen konnte.“
Ruth schnaubte und sah Angelika böse an, aber im Grunde
musste sie einräumen, dass die andere recht hatte.
Dieser schlaksige Bursche war wirklich rührend in seiner
Sorge. Und völlig blind, was alles um ihn herum anging. Anfangs war er ein
Ärgernis gewesen, denn im Grunde stand er ständig im Weg, wenn die Schwestern
sich um das Mädchen mit der Schusswunde im Bauch kümmerten.
Aber wenn dieser Kerl zweimal bei etwas zugesehen hatte,
packte er einfach mit an und die Art, wie er sich um seine Freundin ohne die
geringste Rücksicht auf sich selbst kümmerte, war schon…
Was machte es, ihm eine Mahlzeit zuzuschieben und ihn ab
und zu einige Stunden in einem freien Bett schlafen zu lassen, wenn seine Anwesenheit
so einen beruhigenden Einfluss auf die sedierte Patientin ausübte? Die Ärzte
mussten es ja nicht erfahren.
Und nun, wo das Mädchen aufwachte, konnte selbst ein
Blinder sehen, wie heftig sie seine Gefühle erwiderte. So eine starke Liebe war
schon wirklich beneidenswert.
„Zeig ihm, wie er die Stäbchen benutzen soll, um ihren
Mund und ihre Lippen zu befeuchten“, wies sie Angelika an. „Und achte darauf,
dass sie sich nicht überanstrengt, wenn sie ihre Bekanntschaft erneuern.“
„Gar keine Kussverbote?“, stichelte die andere.
„Ich bin vielleicht ein Drache, aber nicht herzlos“,
versetzte Ruth. „Und danke, dass du übermorgen Hannahs Nachtschicht
übernimmst.“
„Aber…“
Mehr als ein ganz ernstgemeinter, strafender Blick war
nicht nötig, um die Rangordnung wieder herzustellen.
Ruth war nicht herzlos, aber ohne eine strenge Hand
würden die jungen Schwestern und die völlig arglosen Ärzte dafür sorgen, dass
diese Station im Chaos versank. Und das würde nicht passieren, solange Ruth die
Verantwortung trug.
*****
Etwa fünf Wochen später wunderte sich ein Goldschmied
namens Hermann über die drei jungen Frauen in seinem Laden.
Die Hellblonde kannte er. Sie hatte einige
Sonderanfertigungen bei ihm beauftragt und war nun wieder hier, um diese
abzuholen. Die anderen beiden schienen Freundinnen von ihr zu sein.
Jedenfalls auf den ersten Blick.
Sah man genauer hin, hatte die Art, wie sich die beiden
Blondinnen im Arm hielten, etwas entschieden mehr als freundschaftliches. Es
lag eine Art intimer Vertrautheit in ihrem Umgang, die ihn unwillkürlich an ein
Liebespaar denken ließ. Und das war zwar nicht völlig unbekannt, aber doch
recht neu, selbst wenn man das Ende der Sechziger Jahre sehr aktiv miterlebt
hatte.
Aber wirklich verwirrend war es eigentlich erst im
Zusammenhang mit dem Auftrag.
Hermann gab sich keine Blöße. Es war ja schließlich auch
nicht so, als mache es ihm etwas aus. Nur seine Neugier weckte es ein klein
wenig. Und vielleicht beflügelte es auch um eine Winzigkeit seine Fantasie.
Ganz professionell breitete er die fertiggestellten
Arbeiten auf einer Unterlage auf dem Tresen aus. Sie waren exakt so angefertigt
worden, wie die energische Blondine es wollte.
Sie hatte seinen Ratschlag, ihn das Material etwas
stärker bemessen zu lassen, weil eine so filigrane Ausführung doch sehr
zerbrechlich sei, in den Wind geschlagen. Aber wenn sie dafür bezahlte, sollte
sie bekommen, was sie haben wollte.
Da es sich offenbar um eine Überraschung handelte, folgte
Hermann sogleich dem Wink seiner Kundin, eines der Schmuckstücke zunächst
beiseite zu nehmen. Dann lauschte er nicht ohne Stolz der Beurteilung aller
drei Frauen, was die Ausführung angeht.
„Ohh…!“, machte die weißblonde, etwas zierlichere Frau
ergriffen.
Zaghaft streckte sie eine leicht zitternde Hand aus und
berührte die beiden Herzen aus Weißgold.
„Nadia! Die sind… wunderschön!“, hauchte sie. „D-die…
sind die… für mich?“
„Natürlich, du Nase“, kicherte die Angesprochene. „Was
dachtest du denn?“
Der Kuss, mit dem sich die Kleinere bei ihrer Freundin
bedankte, ließ Hermann kurz den Mund offen stehen. Er hatte schon den einen
oder anderen leidenschaftlichen oder liebevollen Kuss in seinem Laden erlebt.
Meistens, wenn es um Ringe ging. Aber zwei bildhübschen, jungen Dingern dabei
zuzusehen, wie sie sich völlig hemmungslos ineinander verloren, war…
außergewöhnlich!
Währenddessen trat die gertenschlanke Rothaarige näher
und sah sich die Stücke an. Und da war etwas wie Wehmut in ihrem Blick, als sie
sie zur Hand nahm.
‚Sei nicht traurig. Du kommst gewiss auch noch dran‘, dachte
er sich unwillkürlich, denn was er beiseite gelegt hatte, war sicherlich nicht
ohne Grund aus einer Kupferlegierung gemacht, sodass es deutlich rot glänzte.
Vorsichtig und ehrfürchtig nahm sie eines der Stücke, die
Hermann an kurzen, kaum einen Zentimeter langen Kettchen hatte befestigen
sollen. Sie hielt es eben daran und sah dabei zu, wie sich der herzförmige
Anhänger leicht hin und her drehte. Aber ihr Hauptaugenmerk galt dem Namen, der
sich als Schrift durch den ansonsten leeren Rahmen zog.
‚Peter‘, lautete dieser bei dem Stück, das sie ergriffen
hatte.
„Ich brauche unbedingt eine Halskette dafür“, freute sich
die kleinste und wohl auch jüngste des Trios, nachdem sie sich von ihrer
Freundin gelöst hatte.
„Glaube ich nicht“, meinte die Rothaarige leise und zum
ersten Mal sah Hermann ein leichtes Lächeln über ihr Gesicht huschen.
„Aber…“, meinte die Weißblonde.
Die Nadia unterbrach sie, indem sie die beiden Herzen aus
Gelbgold ergriff. Diejenigen, mit den Namen ‚Peter‘ und ‚Patty‘ darin.
Hermann konnte sich ein überraschtes Keuchen nicht
verkneifen, als sie sich die beiden Stücke mit den Enden der Kettchen dort an
die Brust hielt, wo er ohne Probleme die Wölbungen ihrer Brustwarzen
auszumachen vermochte.
Das
hatte er nicht einmal im Entferntesten kommen sehen.
Ähnlich ging es allerdings wohl auch der Weißblonden.
Der, deren Name doch nicht etwa Patty lauten würde…?
Im Gegensatz zu der kaum merklich schmunzelnden
Rothaarigen riss die ihre Augen weit auf und wurde dann sichtlich rot. Aber in
ihre schockierte Verlegenheit mischte sich auch sogleich so eine Art
vorfreudiger Aufregung.
„D-das würde ihm gefallen, oder?“, hauchte sie.
„Du hast gesehen, wie er schon auf meine Stäbchen
reagiert hat. Das hat mich überhaupt erst auf die Idee gebracht“, erwiderte
Nadia. „Aber natürlich musst du entscheiden, ob du das willst. Oder vielleicht
auch nur eines davon…“
„Nadia“, unterbrach die Kleinere ihre Freundin, als sich
ein leichter Hauch von Zweifel in deren Stimme einschlich. „Das einzige, was
mich noch glücklicher macht, als euch beide ganz nah am Herzen zu tragen, wo
ihr hingehört, ist zu wissen, dass du mich auch so nah bei dir wissen willst.“
Und damit wiederholte sich die leidenschaftliche
Kussdarbietung noch einmal und Hermann fühlte, wie ihm ein oder zwei
Schweißtropfen auf die Stirn traten.
„Machen Sie sich nichts draus“, raunte die Rothaarige ihm
zu. „Diese Wirkung haben sie auf jeden.“
Nach dem langandauernden Liebesspiel zweier weiblicher
Zungen ohne den allergeringsten Anflug von Scham wandte sich Nadia ihm zu und
sagte mit strahlendem Lächeln und funkelndem Blick:
„Ich bin tausendprozentig zufrieden. Und jetzt hätte ich
gern noch das andere Stück.“
Hermann schluckte, weil er fast weiche Knie bekam, wenn
sie ihn so anstrahlte. Aber er schaffte es, ihr das letzte Teil so in die
ausgestreckte Hand zu legen, dass niemand einen Blick darauf werfen konnte.
Wieder an diejenige gewandt, die ja nun eindeutig als
Patty identifiziert war, erkläre sie:
„Als ich auf die Idee kam, war ich mir noch nicht ganz
sicher. Aber jetzt bin ich froh, dass ich noch etwas habe machen lassen. Was
meist du dazu?“
Von ihrem Körper gedeckt zeigte sie das Herz aus der
Kupferlegierung und Pattys Augen weiteten sich, während sie ein plötzliches
Grinsen mit der Hand verdecken musste.
Enthusiastisch nickte sie.
Der Rotschopf stand derweil da und tat, als ob sie sich
nicht dafür interessierte. Aber selbst Hermann fiel auf, dass sie nicht nur
neugierig war, sondern auch traurig.
Es war keine Enttäuschung, sondern eher wie eine seltsame
Melancholie, die diese junge Frau umgab. Und die Art, wie sie diese trug, ließ
sie fast ein wenig würdevoll erscheinen. Aber eben auch traurig.
Hermann rätselte für sich selbst ein wenig und wagte im
Geiste eine Interpretation dessen, was er angefertigt hatte.
Für die beiden Blondinen waren es jeweils zwei Herzen.
Eines mit dem Namen der anderen und je eines mit dem Namen Peter. Was vermuten
ließ, dass dieser Bursche ein unglaublicher Glückspilz sein musste. Vor allem,
wenn er alle vier Schmuckstücke schlussendlich dort im Augenschein nehmen
durfte, wo sie offenbar angebracht werden sollten.
Das fünfte Stück hatte allerdings einen anderen Namen
darin. Und es unterschied sich außerdem in einem weiteren, kleinen Detail.
An den vier anderen Herzen hingen noch jeweils zwei ganz
kleine Herzchen quer zum Außenrahmen. Sie waren nicht fest verbunden, sondern
konnten zwischen den Stellen, wo die Namen mit dem Rahmen verbunden waren, hin
und her rutschen.
Zwei weitere Herzen in den Rahmen konnten auf die beiden
anderen Personen in dem hindeuten, was offenbar eine Art von Dreiecksbeziehung
war. Aber das Herz aus der Kupferlegierung wies drei dieser Anhängsel auf. Und
das ermöglichte noch eine andere Deutung.
Als Nadia herumwirbelte und sich der Rothaarigen
zuwandte, hatte die einen angespannten Zug um die Augen. Aber der verschwand
und machte einem Ausdruck völliger Fassungslosigkeit Platz, als sie das
Schmuckstück sah. Und ihr entgingen die drei Anhängerchen in Herzform dabei
keineswegs, wie ihre heftig zitternde Hand bewies, mit der sie genau dort das
gesamte Stück berührte.
„Nadia“, keuchte sie mit erstickter Stimme. „Ich…
verdiene das nicht!“
„Doch, Tanja“, erwiderte die Blondine. „Ihr beide
verdient das. Und vielleicht sogar noch mehr…“
Hermann war bass erstaunt, die Rothaarige in Tränen
ausbrechen zu sehen. In Strömen liefen sie ihr über die Wangen, auch wenn sie
dem intensiven Blick ihrer Freundin nicht auswich.
Und sie wich auch nicht zurück, als die Blondie zu ihr
trat und sie ganz langsam in die Arme schloss. Nicht einmal, als ein Kuss
seinen Anfang nahm, der zwar nicht leidenschaftlich, aber doch immens
gefühlvoll wirkte.
„Ich werde niemals vergessen, was du getan hast“,
wisperte Nadia. „Nicht das Schlechte, aber auch nicht das Gute. Ohne dich gäbe
es die Liebe meines Lebens nicht mehr und es war nicht deine Schuld, dass er in
diese Situation geraten ist. Egal, wie du das siehst.
Also hast du damit deine Schuld abgetragen. So wie Peter
dir schon verziehen hatte, als es passierte, habe ich dir längst vergeben. Und
nun will ich dich und Kenny glücklich sehen. Weil ich… weil wir alle drei euch
liebhaben.“
Hermann musste selbst schlucken, obwohl er gar nicht
genau wusste, wovon die Rede war. Er verstand die Gefühle, die im Raum standen.
Das genügte.
Höflich wandte er sich ab und zwinkerte seine Tränen
beiseite, als die Rothaarige für einige Minuten zusammenbrach und haltlos in
den Armen ihrer Freundinnen weinte. Diese seltsame und tief bewegende
Versöhnung wollte er weder unterbrechen, noch stören.
Vielleicht würde er seiner Ruth davon erzählen. Auch wenn
er angesichts der Rolle, die knackige Mädchenbrüste in der Sache spielten,
eigentlich eher davon abgesehen hätte. Aber seit einiger Zeit war seine Süße
irgendwie weicher geworden, nachdem er schon dachte, ihr Job als
Krankenschwester würde sie langsam auffressen.
Diese romantische Geschichte würde sie sicherlich rühren.
Und ganz offen gestanden war sie ihm ein wenig lieber, wenn sie schniefend vor
Rührung in seinen Armen lag, als wenn sie ihn mit ihrem Kasernenhofton
herumkommandierte.
Nicht, dass er seinen kleinen Drachen nicht geliebt
hätte, aber wenn sie in so einer Stimmung war, konnte er es ihr einfach besser
zeigen.
XXXVIII. - Epilog vom Epilog
Mehr über die Verwicklungen und ihre Beteiligten sollte
Hermann an diesem Tag nicht erfahren. Er war nur zufälliger Zeuge eines kleinen
Epilogs eines Kapitels einer Geschichte, die am Fuß einer Burgruine ihren
Anfang genommen hatte.
Er wusste nichts von den Gestalten, die keine fünf
Kilometer entfernt in einer Justizvollzugsanstalt in Untersuchungshaft saßen
und auf ihren Prozess wegen versuchten Mordes, schwerer Körperverletzung,
unerlaubtem Waffenbesitz, Bildung einer kriminellen Vereinigung und diverser
Anstiftungen und anderer Anklagepunkte warteten.
Er wusste auch nichts von den fast schon dramatischen
Ereignissen, die an einer Bauruine im Wald eines nahegelegenen Dorfes
stattgefunden hatten und zum Tode von einem führten, dem nicht einmal Hildegard
alias Candy ernsthaft nachtrauern mochte.
Und Hermann ahnte auch kaum, wie weit seine ansatzweisen
Fantasiebilder dessen, was diese jungen Leute mit ihren Partnern - und
Partnerinnen - so erleben mochten, hinter der Realität zurückblieben. Oder dass
seine Frau am kommenden Abend an seinen Lippen hängen würde, sobald sie die
Namen Kenny und Tanja vernahm, um dann nach einem wirklich, wirklich
romantischen Abend im Bett Dinge mit ihm anzustellen, die sie seit Jahren nicht
mehr gemacht hatte.
Hermann hatte keine Ahnung davon, wie die Leben mancher
Leute sich veränderten, die auch nur ganz kurz mit Nadia und Peter in Berührung
kamen. Wie Walther und Elfriede ihren zweiten Frühling erlebten oder die Hände
einiger anderer Paare in einem ganz bestimmten Dorf beim Spaziergang nun wieder
ein wenig öfter zusammenfanden. Aber immerhin bekam er davon eine Kelle voll
ab, die er in vollen Zügen mit seiner Frau genoss.
Und deswegen hätte es Hermann wohl auch nicht behagt, wie
etwa in der Stunde, als er die drei jungen Frauen in seinem Laden hatte, ein
Mann, den seine ‚Kollegen‘ den Bulgaren nannten, vom Tod des Arschlochs erfuhr,
das ihm Frischfleisch der ganz besonderen Sorte versprochen hatte.
Nein. Der Wutausbruch dieses berüchtigten Cholerikers
hätte ihm nicht zugesagt und er hätte wohl gebangt, ob der unberechenbare Typ
seinen Entschluss, dieser Scheiße auf den Grund zu gehen, wohl wahrmachte oder
wieder vergaß - was beides in etwa gleich wahrscheinlich war.
Hermann war nur ein zufälliger Gast in dieser Geschichte,
in der seine Begegnung mit den drei Frauen ebenso eine Randnotiz darstellte,
wie die Begegnung seiner Frau mit einigen Beteiligten.
Einer Geschichte, deren erstes Kapitel sich um zwei
Menschen drehte, deren zweites Kapitel diesen Kreis auf fünf erweiterte und in
deren drittes Kapitel sein Erlebnis gehörte.
Falls es denn jemanden geben würde, der dieses dritte
Kapitel erzählte. Was nicht zuletzt davon abhing, ob denn jemand außer den
Beteiligten sich für das dritte Kapitel interessieren mochte.
Ein Kapitel, das sich um drei Frauen, zwei Männer drehen
würde. Und wahrscheinlich auch um weitere Leute, die womöglich Teil dieser
seltsamen Fünfecks-Konstellation werden mochten. Und darum, wie sich dieses
teilweise noch fragile Konstrukt entwickelte.
Und ziemlich wahrscheinlich um haufenweise langweiligen,
immer wieder nur auf personalisierte Körperteile zentrierten, ausufernden und
viel zu ausschweifend beschriebenen, den Fortgang der an sich fast schon
mageren Rahmenhandlung dauernd verschleppenden und natürlich vor Superlativen
und immer abartiger werdenden Schweinereien strotzenden Sex.
*****
Es bedanken sich Peter, Kenny und Patty für die
Aufmerksamkeit, die ihnen entgegengebracht wurde.
Nadia lächelt dazu und tut, als hätte sie nichts anderes
erwartet, aber man hat sie erröten sehen, wenn sie so einige Kommentare
erblickte.
Renate hingegen ist so gerührt, dass sie keine Worte
findet und nicht dabei beobachtet werden mag, wie sie sich in ihr
Stofftaschentüchlein schnäuzt. Sie rechnete nämlich niemals damit, dass so
viele Leute ihre oft doch recht burschikose und vielleicht manchmal auf
griesgrämige Art allen Ernstes liebenswert finden würden.
Und Tanja… Tja, Tanja…
Man kann sich vielleicht vorstellen, dass sie vor Tränen
und dickem Kloß im Hals keinen Ton herausbringt, denn sie verdankt ja einige
energischen Kommentatoren im Grunde ihr Leben und die Chance, noch einmal von
vorne anzufangen.
Und wenn sie nicht gerade mit sich selbst hadert und sich
vorwirft, das nicht verdient zu haben, ist sie doch manchmal wirklich froh, aus
der Umarmung des Todes einmal öfter aufgewacht zu sein, als es das Schicksal
eigentlich für sie geplant hatte. Und sich dafür in den Armen desjenigen
wiederzufinden, bei dem sie am wenigsten damit gerechnet hätte, sich dort so
geborgen zu fühlen…
All die anderen Leute, die ihre Auftritte hatten, ziehen
vorüber und verneigen sich. Zwei Brüder allerdings bleiben sitzen und zeigen
die Mittelfinger, wenn sie nicht gerade mit dem Arsch an der Wand lang
schleichen, weil irgendwer das Gerücht gestreut hat, sie wären Vergewaltiger
und ihre Mithäftlinge ihnen helfen wollen, diesen Begriff in aller
Vollständigkeit zu verstehen.
Ein Hund bellt - wahrscheinlich Fritz - und die Karawane
zieht weiter…
*****
Ein wirklich sehr schönes Ende der Geschichte. Das einzige was ich blöd finde ist das es vorbei ist. Werde wahrscheinlich öfters nochmal lesen müssen.
AntwortenLöschenUnd Danke für die schönen Stunden die ich durch das lesen hatte.
Danke dir Georg. Dass du das blöd findest, verstehe ich natürlich. Und ich nehme es auch wieder als großes Kompliment. ;-)
LöschenSehr, sehr gerne geschehen!
Wahnsinn, Mike...ganz tolle Geschichte.....du hast mich am Ende der Geschichte zu Tränen gerührt...ich bin eine Heulsuse...ich weiß.
AntwortenLöschenEin echt großes Kompliment...für dies, deine Geschichte...BRAVO
Vielen, lieben Dank Alex! Ich kann mich nicht einmal dafür entschuldigen, dich zu Tränen gerührt zu haben, denn das ist ja schließlich ein wirklich tolles Lob und in gewisser Weise habe ich das gerne gemacht.
LöschenAber Heulsuse? Nein. Wenn etwas emotional ist, dann darf man doch auch mal Tränen verquetschen. Welch größeres Lob kann ein Autor denn erhalten? ;-)
Geil!!!!!!
AntwortenLöschenEin Ende wie ich es mir erhofft habe.
So hat diese Geschichte vom der ersten bis zur letzten Seite gefallen.
Danke fürs lesen lassen und die damit verbundene angenehme Zeit
Dann warst du es, der/die sich gewünscht hat, es möge ein Happy End geben?
LöschenFreut mich, dass es dir gefallen hat! ;-D
Sehr gerne geschehen!
Jepp, danke nochmals fürs lesen lassen!
LöschenDen Epilog fand ich sogar besser gelungen als den dramatische Schlussteil. Die romantische Annäherung von Kenny und Tanja macht Lust über deren Geschichte bzw Zukunft mehr zu lesen. Auch die Nebenfiguren mit Ihren kleinen Side Stories fand ich gut gelungen. Als Menschen mit eigener Geschichte und nicht nur als Komparsen der Haupthandlung, Großes Lob!!
AntwortenLöschenAlso jede Menge Anknüpfungspunkte..... dann kann die Geschichte doch eigentlich weiter gehen.
Gruss Thomas
Danke dir, Thomas. Ja, der dramatische Teil war natürlich schon eigen, aber immer nur Harmonie ist auch nicht auf Dauer fesselnd.
LöschenDanke auch für dein Lob zu den Nebencharakteren. Die freuen sich. ;-D
Weitergehen KANN die Geschichte auf jeden Fall, aber erst einmal sind andere Projekte an der Reihe, ne. ;-D
Wunderschön
AntwortenLöschenEin wirklich toller Abschluss des zweiten Kapitels! Sehr schön und bewegend geschrieben.
Auch wenn ich nach den ersten Zeilen schon ein bitterböses Kommentar formuliert hab in dem Glauben Tanja wäre gestorben! Erst dachte ich ja die Oma wäre kurz nach den Ereignissen des letzten Teils von uns gegangen, aber diese Vermutung hat ja nur die ersten paar Absätze überlebt und von Zeile zu Zeile wurde ich trauriger (und böser!) bis der Grund der Beerdigung offenbart wurde.
Danach war ich nur noch überwältigt davon wie toll du auch diesen Teil wieder verfasst hast und über den schönen Abschluss des Kapitels.
Ich glaube es würde nicht an Interessenten für ein drittes Kapitel mangeln, ich selbst bin auf jeden Fall sehr interessiert!
Vielen Dank für diese tolle Geschichte! Mach weiter so Mike!
Just Me
p.s. der vor allem auf die Fortsetzung von Soulmates wartet ;-)
Dir auch meinen verbindlichen Dank, Just Me.
LöschenIch gestehe, ich wollte die Ungewissheit wegen Tanja gerne noch in der Schwebe halten, um an den Nerven zu zerren und zu reißen, bis es nicht mehr geht. ;-D
Sehr gerne geschehen und ich versichere dir, dass es auch mit Soulmates weitergeht. Aber da muss eben auch wirklich alles stimmen. Deswegen nehme ich mir da die Zeit, die ich brauche. ;-)
Hallo Mike
AntwortenLöschenAuch von mir "Vielen Dank".
Ich bin restlos begeistert vom Ende? dieser jungen Liebe.
Da Du ja sehr viele Baustellen offen hast,werde ich auch in Zukunft
Dich weiter nerven.Wie viele Deiner Fans warte ich auf eine Fortsetzung!
Allerdings bei "Eskalation"
weiterhin viel Spass beim Schreiben
Helmut
Und dir auch noch einmal meinen Dank, Helmut. (Euroairliner, richtig?)
LöschenBaustellen würde ich es nicht nennen. Vielleicht eher Möglichkeiten? ;-)
Andere Fortsetzungen kommen ja jetzt Stück für Stück. Und natürlich steht auch Eskalation auf der Liste. ;-)
Und Danke, den werde ich haben! ;-D
Hi mike ... ich bin ein neuer fan ;) diese geschichte hat alles was da rein gehort spiel spanung und naturlich schokolade :D ich hab sie formlichs verschlungen hat viel spass gemacht ... weiter soo oder noch besser ....bin auf deine anderen geschichte gepant dank das du sie uns alle lessen läst :)
AntwortenLöschenDanke dir vielmals, Petra. Und willkommen auf meiner Seite und bei meinen Geschichten. Ich hoffe, ich kann dich auch mit anderen einfangen. ;-)
LöschenHallo Mike,
AntwortenLöschenich bin über m-r.net auf dich aufmerksam geworden und hoffe sehr das du mal eine Fortsetzung zu dieser geschichte hier (Junge Liebe) schreiben wirst ... und die auch dort veröffentlichst, da sie mich sehr gefässelt hat.
Ich wünsche dir hier weiterhin viel erfolg und spaß am schreiben.
Ein Anonymer Gast :)
Ich glaube hier lese ich öffter
AntwortenLöschenMaster HHH
Maaan du Penner xD hast mich echt voll drangekriegt mit der Beerdigung...ich hasse dich :'D
AntwortenLöschenUnabhaengig davon, wunderbares Werk und wenn du noch einen Betaleser brauchst, helfe ich gerne :)
Lieber mike stone ich bin von deiner Geschichte begeistert sie klingt fast wie meine eigenes Leben und da ich selbst schreibe und eigenlich meine Geschichte zu Papier bringen wolte ich aber seit ein paar Jahren eine schreib Blockade habe wolte ich dich fragen ob ich mir Teile deiner Geschichte nehmen darf um meine zuschreiben würde mich freuen über deine Erlaubnis Rohan Alexander
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